1987 war das Jahr der Wende in der Geschichte des bis anhin rein männliche Rotary. In jenem Jahr befand es das Oberste Gericht der USA als diskriminierend, Frauen von einem solchen Gremium auszuschliessen. Formell betraf dieses Urteil nur den Fall des RC Duarte, der nach einer nicht länger unterdrückbaren Durchmischung lechzte. Doch auf Grund der massgeblichen Grundsätze des amerikanischen Rechts setzte dieses Urteil für die ganzen Vereinigten Staaten Recht. Mehr noch, die sorgfältige und treffende Bewertung des Wesens von Rotary strahlte weltweit aus. Die Richter erschütterten eine wankende Tradition und stürzten damit Rotary kopfüber in die Wonnen der Durchmischung.
Ein neues Zeitalter brach an, 40 Jahre nach dem Hinschied von Paul Harris, der dies in seinem Himmel zweifellos begrüsste. Dieser Anlauf wird Rotary zunehmend von innen her verändern. Es handelt sich mitnichten um Verrat, sondern einfach um eine Anpassung an die Entwicklung der Berufswelt, deren ethischer Wachposten und Wohltäter zu sein Rotary berufen ist. Folgen wir dem Weg auf diesem neuen Teilstück, mit seinen Ausblicken und Herausforderungen. Möge uns der neue Wind nicht in die Büsche fegen, sondern zu blühenden Beeten führen.
Eine spaltbreit offene Tür
Nach dem Beinstellen des Obersten Gerichts, das Rotary in ein duftendes Blumenbeet purzeln liess, hat es sich wieder erholt und gefasst. So rasch wie möglich passte es seine internen Regeln an. Am CoL (Council on Legislation) von 1989 wurde die vom Verwaltungsrat, sechs Distrikten und 104 Clubs beantragte Statutenänderung 89-54 gutgeheissen. Sie schlug sich im neuen Artikel 5 (damals 4) der RI-Verfassung nieder, die es einem Club erlaubten, Mitglieder nur eines Geschlechts aufzunehmen, wenn eine solche Einschränkung den Gesetzen am Ort des Clubs nicht widerspricht. („A club may be limited to members of one gender unless such limitation is contrary to the law oft he jurisdiction in which the club operates“). Die Clubs durften also falls erforderlich gemischt sein und sogar wählen, es zu sein. Der Riegel war gebrochen und die Türe von Rotary für Frauen offen.
Sie war aber nur einen Spalt breit offen. Rotary folgte dem Urteil des Obersten Gerichts nur minimal. Grundsätzlich blieben die Clubs rein männlich, wie zuvor. Frauen wurden nur ausnahmsweise aufgenommen. Man ging vom Verbot über zum Erlauben. Damit vermied man, der ganzen Welt eine amerikanische Forderung aufzuzwingen und so Rotary brutal zu destabilisieren. Die dem Club von Duarte zugebilligte Ausnahme wurde auf alle Clubs ausgedehnt, die Rotarierinnen begehrten, und die andern blieben frei, sich in ihrer haarigen Männlichkeit zu gefallen.
Dieses kluge Zugeständnis wird dennoch die Feminisierung in unserem Distrikt vorantreiben. Neben alten Club, die ob Röcken murren, werden gemischte Clubs auftauchen, die das Hindernis überwinden. Der RC Montagnes Neuchâteloises wurde bereits 1990 gegründet und hat als erster bei uns Rotary feminisiert – und er ist stolz darauf. Die Clubs von Bern Christoffel und Porte de Lavaux folgten 1966, Genève Palais Wilson 1998 und Sion-Rhône im Jahr 2000 und nehmen weibliche Mitglieder auf, welche die alten Clubs überheblich ablehnten. Da und dort entstanden auch nebeneinander rein männliche und gemischte Clubs. Die Durchmischung ist Tatsache geworden, nicht in jedem Club, aber in den Regionen, wo dank einer Mehrzahl von Clubs Frauen einen aufnahmebereiten Club finden konnten. Vorausgesetzt, dass es genügend solcher Clubs gibt und die Kontakte zwischen den Clubs eng, häufig und frei von Segregation sind, kann diese Lösung eine angemessene Antwort auf das Problem der Durchmischung geben. Frauen und Männer sind zwar gleichberechtigt, doch wer wollte, konnte immer noch einen eingeschlechtlichen Club wählen. Gleichheit heisst weder Durcheinander noch Verschmelzung.
Gemischt wird zur Regel
Doch dieses recht liberale System, das die Vereinsfreiheit achtete, galt nur kurze Zeit. Die vorerst ruhigen Feministen griffen bald wieder an. Auf ihr Verlangen hin säuberte das CoL 1995 die rotarischen Schriften von aller grammatischen Männlichkeit (amendments 95-81 und 95-176). Dies war aber nur kosmetische Retusche; das CoL 2001 machte einen deutlicheren Sprung vorwärts. Wir erinnern uns: dieses revolutionäre CoL löste die territorialen Clubgrenzen auf und liberalisierte das rotarische Profil. Auch bezüglich der Durchmischung bewies es Wagemut. Während er sie 1989 nur duldete, erhob sie diese jetzt zur Regel. Doch wie?
Zunächst wurde der tolerante Text von 1989 aufgehoben. An seiner Stelle wurde der Begriff „Geschlecht“ (gender) den unzulässigen Aufnahmekriterien für eine Mitgliedschaft hinzugefügt (amendment 01-187). Artikel 4.070 SRI wurde zu dem, der heute noch gilt, abgesehen von der sexuellen Neigung, die 2010 hinzugefügt wurde (amendment 10-40): „Kein Club darf die Clubmitgliedschaft auf Grund des Geschlechts, der Rasse, Hautfarbe, Glaubensrichtung, nationalen Herkunft oder sexuellen Neigung durch Bestimmungen in seiner Verfassung oder anderweitig einschränken oder
für die Mitgliedschaft Bedingungen aufstellen, die nicht ausdrücklich in der Verfassung von RI oder dieser Satzung vorgeschrieben sind“. Doch aufgepasst: mit dieser Formulierung wurden die rein männlichen Clubs nicht statutenwidrig. Der CoL zwang die Clubs nicht, Frauen aufzunehmen, er verbot ihnen nur, sie aufgrund des Geschlechts abzulehnen. Diese Nuance ist nicht bedeutungslos; die liberale politische Idee liegt ihr zugrunde. Mit diesem nicht paternalistischen Konzept wird nicht festgelegt, was gut ist, sondern nur die individuelle Freiheit geschützt. Rotary ist grundsätzlich liberal und zwingt daher den Clubs den Gewinn durch Durchmischung nicht auf, sondern begnügt sich damit, Diskriminierungen und Beschränkungen der Freiheit zu bekämpfen.
Trotz dieser Zurückhaltung wird die neue Regel Rotary weiterbringen. Immer mehr Alte Clubs werden den Sprung wagen; langsam aber sicher werden gemischte Clubs zur Regel werden. Gewiss, nach nun 15 Jahren widersetzen sich noch zahlreiche Clubs. Das System der Kooptierung schützt sie, solange kein Mitglied die stillschweigende Übereinkunft verletzt und eine Frau als Mitglied vorschlägt. Aber sie können nicht mehr bindend über diese Frage abstimmen oder eine überzeugende Kandidatin ablehnen. Auf diesem Umweg entwickelt sich die Lage weiter. Rein rechtlich sind alle Clubs gemischt, auch wenn ihre Rotarierinnen tatsächlich noch in Zukunftstraümen schweben. Die Frage bleibt gestellt. Die in alten Zeiten festgemauerten Clubs höhnen des Reiches politischer Korrektheit mit dem Stolz des gallischen Dorfes von Asterix; sie feiern und kauen viril ihre Wildsauen. Die Eiferer der Durchmischung verachten ihrerseits die Ewig-Gestrigen, die in ihren Augen in Obskurantismus verharren; ja, sie verdächtigen sie der Menschenfresserei anlässlich ihrer Lunches.
Und nun wohin ?
Zum Schluss erinnere ich an den schönen libanesischen Film von Nadine Labaki, in dem Frauen verschiedener Glaubensrichtungen zusammenstehen, um den absurden Kriegen der Männer zu entweichen („Et maintenant, on va où?“). Die Frage nach der Rolle der Frauen ist angebracht. Wir haben die Entwicklung von Rotary über die Jahre verfolgt. Die einmaligen Klassifikationen sind verschwunden, die Clubgrenzen ebenso, das Profil der Mitglieder wurde demokratisiert, die Festung der Männer ist erstürmt. Wird die Ankunft der Rotarierinnen nicht nur die Mitgliederzahl erhöhen, sondern Rotary auch qualitativ verändern? Aber sicher!
Zum Einen verändert sich die Stimmung. Die Frauen bringen ihre eigenen Empfindungen ein. Sie sind nicht einfach auch Männer. Fern sei uns simple Gleichmacherei oder eine Banalisierung der Unterschiede: Rotary gewinnt mit ihnen eine wertvolle Bereicherung. Nur wenn wir die Bedeutung des Körpers beim Menschen, und damit den schon von Plato und Descartes gelehrten Dualismus, leugnen, können wir den Einfluss der Hormone auf unsere Umgangsformen gering achten. Wir sind, Gott sei Dank, nicht alle gleich. Der sexuelle Dimorphismus ist ein schönes Abenteuer. Dank ihm sprüht unser Leben Funken. Jeder ist neugierig und vom andern angezogen. Männer werden zuvorkommend und Frauen liebenswürdig. Mir fehlt die Zeit, um hier das fesselnde und oft zwiespältige Thema der Begegnung von Paaren einerseits und Berufskollegen (also Mitgliedern eines Rotary-Clubs) anderseits zu behandeln: Die Neurobiologin Lucy Vincent (Où passe l’amour?, Odile Jacob 2007) hat es erschöpfend untersucht. Doch was auch immer, in einem gemischten Club sind die menschlichen Beziehungen vielfältiger, oft komplizierter, reichhaltiger auch und oft fruchtbarer. Zusammen können Frauen und Männer noch besser „selbstlos dienen“, jeder und jede nach eigener Art.
Schliesslich spielt die Feminisierung eine besondere Rolle in der Entwicklung von Rotary. In dem schönen Buch, das der heute rein männliche RC Lyss-Aarberg zur Feier seines 50. Geburtstages herausgegeben hat, spottet er über die Lage, da er 100 Jahre alt sein wird: 36 Mitglieder, wovon 33 Frauen, wird er grosse Mühe haben, Männer zu rekrutieren, da diese mit Haushalt und Erziehung der Kinder vollausgelastet sein werden. Eine derartige Entwicklung ist möglich, man sieht sie bereits in einigen Berufszweigen, etwa in der Justiz Frankreichs. Doch kehren wir in unsere Zeit zurück.
Männer sind gemeinhin auf Technik und Wettbewerb ausgerichtet und karrierebewusst, während Frauen meist empfindsamer, feinfühliger und mit Bezug auf Mitmenschen achtsamer sind. Ohne verallgemeinern zu wollen: die Dualität ist auch im Clubleben spürbar. Zum Teil spielen dabei, mindestens teilweise, auch Testosteron und Östrogen eine Rolle, wenn denn der Wissenschaft zu glauben ist. Verblüffend festzustellen, dass der CoL von 2001 gleichzeitig die Feminisierung von Rotary vorangetrieben und die Aufnahmebedingungen bezüglich Hierarchie und Prominenz gemildert hat, als ob diese Parameter miteinander verknüpft wären. Mit der Feminisierung ist ein neues Gleichgewicht zwischen Vernetzung und Hingabe einzupendeln, den beiden Polen von Rotary. Natürlich beurteile ich hier den Wert einer Person nicht, gibt es doch vielerlei Grosszügigkeit und Dienst am Gemeinwesen. Ich stelle nur Überlegungen an.
Die Nicht-Diskriminierung der Frauen gründet auf einem immer empfindlicheren Gewissen bezüglich der Gleichheit aller Menschen. Sie bildet eine wichtige Wegmarke beim zivilisatorischen Fortschritt. Der oben zitierte Artikel 4.070 SRI geht in dieser Richtung. Er lehnt jede Diskriminierung ab, aufgrund von Rasse, Herkunft, Religion oder Geschlecht. Die einzige für Rotary noch zulässige, gesellschaftliche „Diskriminierung“ bestand darin, nur „Patrons“ oder Chefs aufzunehmen. Doch auch dies hat sich geändert; der CoL 2016 nennt im Artikel 5 VRI nur mehr ethische und moralische Werte als Aufnahmekriterien. Weder Prominenz noch Entscheidungsträger werden noch vorausgesetzt. Es genügt, „eine erwachsene Person mit gutem Charakter, Integrität und Führungsqualitäten zu sein, mit gutem Ruf im Unternehmen, Beruf und/oder in der Gemeinde, bereit zum Dienst an der Gemeinschaft“ (amendment 16-38). Bald genügt es, voll guten Willens zu sein.
Und jetzt wohin? Rotary geht geradewegs auf die Gleichheit aller Kinder Gottes zu, aufgeteilt in Gerechte und Verdammte, in Schafe und Böcke (Mt. 25, 33). Der CoL war sich dessen kaum bewusst, aber er wandte auf Rotary die Gleichheit an, die der Apostel Paulus den Anhängern Christi zuschrieb: „Es gibt nicht mehr Juden noch Griechen, nicht mehr Sklaven noch Freie, nicht mehr männlich noch weiblich; denn ihr seid alle eins in Jesus Christus“ (Gal. 3, 27-28). Wagen wir eine Lästerung: Alle sind eins im Rotary, wer immer sie sein mögen, vorausgesetzt sie teilen seine Werte. Wohin führt das? Vielleicht in den Himmel, vielleicht in die nächste Mauer, ich überlass’ es Ihnen.
Mit diesen schönen Worten verlasse ich Sie. Ich wollte noch viele andere Themen behandeln, das Alter der Mitglieder etwa, den Sinn unserer Aktionen, unsere Devisen und Symbole, die Ethik der vier Fragen. Doch meine Zeit lief zu rasch ab, und das Rad dreht sich. Danke für ihre aufmerksame und wohlwollende Lektüre während des Jahres, das nun zu Ende geht. Freut Euch weiterhin an Rotary!